Katharina Koschny: „SPRECHEN IST FILM“

Meine Begeisterung für das gesprochene Wort begann an einem der trüben Sonntagvormittage, irgendwann in den 1960er Jahren. Während meine drei älteren Schwestern und meine Eltern die Folgen ihres reichlichen Alkohol- und Zigarettengenusses traditioneller Samstagabendfeiern der Barmherzigkeit weicher, frischduftender Kissen überantworteten, war ich als einzige wach und fühlte mich sehr allein. Damals retteten die wunderbaren Welten der Hörspiele des RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) meine Kinderseele vor Trübsinn und erweckten eine tiefe Liebe zu diesem Medium. Später wurde diese Liebe wiederum durch den RIAS vertieft. Die szenisch-lebendigen Krimi-Hörspiele mit ihren prägnanten Stimmen und Figuren gaben dem eigenen Vorstellungsvermögen unendlichen Raum – bis sich schließlich das Fernsehen als Feierabendvergnügen durchsetzte und die individuelle Phantasie ausdünnte, weil alle nur noch dieselben Bilder sahen.

Doch ob innere Bilder, Kino- oder Fernsehfilme – meine Faszination für szenisches Darstellen war geweckt. Nach zehn Theaterjahren auf der Bühne (acht davon in Zürich) war es erneut die Liebe zum Hörspiel, die mich nach Hause, nach Berlin und in die offenen Arme des RIAS trieb. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Gang durch die gläserne Drehtür, wodurch mein Berufsleben endgültig seine Richtung fand. Zunächst allerdings nicht wie erhofft als Sprecherin für Hörspiele. Nein, man suchte eine Nachrichtensprecherin. Der Abschied vom Szenisch-Lebendigen beim Sprechen fiel mir schwer, hatte aber den Vorteil eines winzigen Promi-Bonus in Form von Namensnennung am Ende der Nachrichten als Ausdruck von Station Voice Identification.

DAS UNIVERSUM des Mikrofonsprechens

Was sich zunächst anfühlte wie ein Abschied von der bunten lebendigen Welt des Theaters, war in Wirklichkeit die Entdeckung eines gestalterischen Universums: dem akustisch leeren Raum des Mikrofonsprechens. Befeuert durch die gleichzeitige Tätigkeit beim Synchron, wurde für mich jeder Text – egal ob Filmdialog, Funkfeature, Sachtext oder Dokumentarfilm – zu einer lebendigen Szenerie. Jeder geschriebene Text offenbarte mir sein szenisches Geheimnis, denn im Laufe der vielen Sprecherjahrzehnte wurde mir klar:

  • Wir sprechen immer zu jemandem.
  • Dieser Jemand befindet sich irgendwo im Raum – vor, hinter oder neben mir, ein Einzelner oder viele.
  •  Immer wenn wir sprechen (schreiben), wollen wir, dass danach etwas anders ist, sonst würden wir nicht sprechen.
  • Und mehr noch: Wenn wir wollen, dass danach etwas anders ist, haben wir vorher etwas gefühlt.

ENTSTEHUNG des ariadne system®

Im Sprecherberuf fand ich also die lebendige Welt des Schauspiels wieder und erkannte: Sprechen ist Film, reduziert auf die akustische Dimension. Und auch der „akustische Film“ funktioniert nach klaren handwerklichen Regeln. Diese Regeln hatte ich in den vielen Jahren als Sprecherin bei Funk, TV und Synchron und als Schauspielerin auf der Bühne und beim Film studiert und erfahren. Jetzt mussten sie nur noch für das Mikrofonsprechen für alle Sparten zusammengefasst und in eine gute Reihenfolge gebracht werden.

Das Ergebnis dieser Zusammenfassung und zugleich die Essenz aus 40 Berufsjahren ist das ariadne system® – eine Lehr- und Lernmethode, um jeden geschriebenen Text in das szenisch-lebendige Jetzt zu katapultieren, direkt unter die Haut, in den Kopf und ins Herz der Hörerschaft, irgendwo da draußen in der Welt. Das ariadne system® ist ein Passepartout für Quereinsteiger und Profis, für jede Sorte Text und jedes Sendeformat. Es vermittelt handwerkliche Kriterien jenseits von Gefallen und Geschmack, führt zu mehr Sicherheit in jeder Sprechsituation und zu einem professionelleren Hörbewusstsein.

Die Akademie Für Professionelles Sprechen

Das gesprochene Wort ist machtvoll. Jeder, der in der Öffentlichkeit spricht oder in der Wortproduktion tätig ist, setzt einen Impuls, gedanklich und emotional. Denn immer, wenn wir sprechen, wollen wir, dass danach etwas anders ist. Sonst würden wir nicht sprechen. Sprechen ist auch Verantwortung. Mikrofonsprechen ist ein Universum an gestalterischen Möglichkeiten. Wie in einem leeren schwarzen Raum wird durch die Stimme des Sprechers und die Art, wie ein Text vorgetragen wird, eine Szenerie lebendig. Denn wir sprechen immer zu jemandem.

Insbesondere beim Mikrofonsprechen geht es deshalb darum, das Anliegen des Autors durch präzise Textgestaltung auch emotional erfahrbar zu machen. Mikrofonsprechen ähnelt von den Anforderungen daher der Tätigkeit eines Schauspielers in der Greenbox. Ein Sprecher ist mit seiner Stimme, seinen Gedanken und Gefühlen dabei das Instrument, der Spieler und Regisseur gleichzeitig. Und jede Stimme hat Schönheit, wenn sie wahr ist. Es ist möglich, auf würdige, respektvolle und lebendige Art zu sprechen und so einen Beitrag zu einem friedlichen, vielfältigen Miteinander zu leisten – ganz ohne Manipulation.

Den Geist des ariadne system® für jeden Sprechbegeisterten erlernbar zu machen, war mein Impuls, die Akademie Für Professionelles Sprechen im Oktober 2010 zu gründen. Dank vieler treuer und wunderbarer Wegbegleiter, dank des grandiosen Teams der Akademie und nicht zuletzt dank des Vertrauens der Kursteilnehmer und Studenten hat sich die Akademie Für Professionelles Sprechen zu einer wichtigen Institution entwickelt, in der man gediegenes Handwerk erlernen kann, das die Tür zum gestalterischen Universum des Mikrofonsprechens öffnet. Besser als einer meiner Kursteilnehmer kann man es eigentlich nicht zusammenfassen: „Das ariadne system® ist das Ticket in die gestalterische Freiheit.“

 

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